Für viele Menschen ist das positive Ergebnis eines Schwangerschaftstests womöglich einer der glücklichsten Momente in ihrem Leben. Nicht nur, weil die Schwangerschaft einem Wunder der Natur gleicht, sondern auch, weil es für viele künftige Eltern die Liebe der Beziehung sichtbar nach außen trägt. Aber diese Sichtweise ist nur eine von vielen. Wenn das Testergebnis mit Schock und Verzweiflung betrachtet wird, dann stellt sich oft die Frage: Abtreiben oder nicht?
Abtreiben oder nicht? Das positive Ergebnis eines Schwangerschaftstests stellt im Moment der Betrachtung das ganze Leben einer Frau auf den Kopf. Insbesondere, wenn die vermeintlichen Glücksgefühle über das zukünftige Muttersein gar nicht aufkommen wollen. Die Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch sind genauso vielfältig, wie die Gründe, die für die Austragung einer Schwangerschaft sprechen. Jede Frau, die vor der Entscheidung bezüglich einer Abtreibung steht, macht sich diese nicht leicht. Das Factsheet zum Thema Schwangerschaftsabbruch der unabhängigen Beratungsstelle pro familia e.V. führt auf, dass die Gründe für einen Abbruch meist biografisch motiviert sind. So spielen unsichere Partnerschaften bei 60 % der Abtreibenden eine Rolle. Weiterhin beeinflusst die finanzielle und berufliche Situation die Entscheidung ein Kind zu bekommen maßgeblich. So entschloss sich im Jahr 2016 jede zweite Frau, die sich noch in einer Ausbildung oder einem Studium befand, zum Abbruch der ungewollten Schwangerschaft.
Das der Zeitpunkt für ein Kind gut gewählt werden will, zeigt auch ein weiterer Blick in die Statistik. So brechen Frauen zwischen 25 und 35 Jahren eine Schwangerschaft häufiger ab, als beispielsweise Frauen höheren Alters. Wobei an dieser Stelle auch erwähnt werden muss, dass Frauen zwischen 25 und 35 Jahren zeitgleich auch die Altersgruppe mit den meisten Lebendgeburten darstellt. So kommen 46.158 Abbrüche auf 462.920 Geburten im Jahr 2015.
Eine Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes von Juni 2019 gibt an, dass im ersten Quartal des Jahres 2019 rund 27.000 Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland vorgenommen wurden. Gemäß den dortigen Angaben, handelt es sich dabei um einen Rückgang um 0,6 % gegenüber der Anzahl des Zeitraumes im Vorjahr.
Schwangerschaftsabbrüche unterliegen in Deutschland gesetzlichen Vorschriften. Das bedeutet, dass eine Abtreibung nicht ohne Weiteres von der Schwangeren durch Ärzt:innen vollzogen werden darf. Unter § 218 und § 219 im Strafgesetzbuch werden die Voraussetzungen und Bedingungen für einen Schwangerschaftsabbruch rechtlich geregelt. Ein Gesetz, dass viele Menschen, darunter Wissenschaftler:innen, wie Prof. Dr. Ulrike Busch, als unzeitgemäß und als Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Frau betrachten. Warum genau erläutert Prof. Dr. Ulrike Busch im Interview.
Prof. Dr. Ulrike Busch (67) ist emeritierte Professorin für Familienplanung und lehrte an der Hochschule in Merseburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Familie, Sexualpädagogik und Sexualberatung sowie reproduktive Rechte und reproduktives Verhalten. Des Weiteren steht sie dem Verein pro familia beratend zur Seite und war für verschiedene Projekte der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend tätig. Als Mit-Herausgeberin des Buches „Abtreibung – Diskurse und Tendenzen“ gibt Ulrike Busch einen umfassenden Überblick zum Thema Schwangerschaftsabbruch und analysiert aktuelle Kontroversen aus sozialwissenschaftlicher Perspektive.
Nabelschau: Frau Busch, die Errungenschaft der Pille war ein erster Schritt, zur Wahlfreiheit in Bezug auf die Kinderfrage, wie frei sind wir heute in dieser Frage gemäß der aktuellen Debatte um die „Abmilderung“ von § 219a StGB?
Ulrike Busch: Die Debatte um Paragraph 219a, einschließlich Verurteilungen von einigen Ärzt:innen, wie Kristina Hänel, hat dazu beigetragen, dass das Thema Schwangerschaftsabbruch wieder mehr ins Bewusstsein der Menschen gerückt ist. Das ist insbesondere in Bezug auf die reproduktiven Rechte von Frauen relevant, die zu einer modernen Gesellschaft dazugehören sollten. Allerdings haben § 219a und die Kinderfrage nicht direkt miteinander zu tun, da der Paragraph nur ein Teilaspekt von § 219 ist. Bezüglich der Kinderfrage müssen wir demnach im Ganzen auf § 219 und § 218 schauen. Die aktuelle Debatte lässt allerdings nicht erwarten, dass Paragraph 218 gestrichen würde und somit der Strafrechtscharakter für Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland entfällt. Die Kinderfrage ist insofern davon berührt, weil Kinderkriegen ein individuelles, universelles Recht sein sollte und nicht von einer “Gebärpflicht” flankiert werden sollte, wie sie in Deutschland besteht. So letztlich das Bundesverfassungsgerichtsurteil, aus dem sich die herrschende Gesetzesgrundlage ergibt.
Nabelschau: Warum spielt § 219a StGB Abtreibungsgegner:innen in die Hände?
Ulrike Busch: Die Debatten um § 219a sind ja vorrangig durch die Anzeigen von Abtreibungsgegnern erfolgt. Diese haben sich regelrecht auf die Jagd nach Ärztinnen und Ärzten begeben, die in ihrem Leistungskatalog Schwangerschaftsabbrüche aufgeführt haben. Abtreibungsgegner:innen sind aber mitnichten Menschen, die sich per se für den Schutz des ungeborenen Lebens einsetzen, sondern sie zeichnen sich durch extreme Positionen gegen das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung aus. Ungewollte Schwangerschaft kann im Leben vorkommen und Frauen müssen dann die Möglichkeit haben sich zu entscheiden, ob sie eine ungewollte Schwangerschaft austragen wollen oder nicht. Alles andere ist frauen- und menschenfeindlich. Die Sichtbarkeit von Embryonen, die die medizinische Entwicklung hervorgebracht hat, führt dazu, dass die Debatte um das embryonale Leben stärker geführt wird. Abtreibungsgegner:innen stellen sich jedoch linear den Rechten von Frauen entgegen. Der Embryo ist Teil des Körpers der Frau und somit obliegt die Entscheidung auch der Frau.
Nabelschau: Die Strafanzeigen gegen die Ärztin Kristina Hänel wurden von Männern aufgegeben. Inwieweit wird die §219a-Debatte nicht auch von einer patriarchalischen Machtstruktur begleitet?
Ulrike Busch: Die Rechtsgrundlage bezüglich Schwangerschaftsabbruch steht in der Tradition christlicher und konservativer Deutungshoheiten. Das ist so gesehen ein jahrhundertealtes Thema, unter anderem in Deutschland. Damit einhergehend geht es um die Frage, wer die Deutungshoheit zugeschrieben bekommt, wenn es um Fragen in ganz privaten Lebensbereichen geht, die aber im gesellschaftlichen Interesse liegen. So hat die Fortpflanzung im Allgemeinen ja auch bevölkerungspolitische Implikationen. Entsprechende Machtstrukturen sind heute noch christlich und konservativ geprägt. Die Trennung von Staat und Kirche ist in Deutschland nicht konsequent vollzogen. Dementsprechend bewegen wir uns auch in einem traditionellen Denken über Frauenrechte und Frauengesundheit. Dieses Denken hatte über Jahre eine starke patriarchalische Prägung, die bis heute wirkt.
Nabelschau: Jede fünfte Frau gab in einer Studie der BZgA berufliche oder finanzielle Unsicherheit als Grund für den Schwangerschaftsabbruch an, was muss die Politik im Umgang mit ungewollten Schwangerschaften leisten?
Ulrike Busch: Zuerst muss Politik die Entscheidungen von Frauen respektieren. Der Kinderwunsch ist eine sehr komplexe Angelegenheit. Es geht nicht nur darum finanzielle Unsicherheiten zu nehmen oder darum, dass der Staat berufliche Ungerechtigkeiten ausgleicht und familienfördernde Maßnahmen einleitet, damit weniger Schwangerschaftsabbrüche erfolgen. Ein solches Denken finde ich aufgrund der Komplexität des Themas gefährlich, da es vorrangig um die Entscheidungsrechte von Frauen geht. Natürlich geht es auch um Rahmenbedingungen, die Frauen und Familien haben und das ist durchaus eine gesellschaftliche Aufgabe. Aber es gibt eben auch Frauen, bei denen die genannten Unsicherheiten keine große Bedeutung spielen. Für viele von ihnen ist es eine lebensentscheidende Frage, ob sie zum jetzigen Zeitpunkt ein Kind möchten oder eben nicht. Demnach geht es vornehmlich um den Kinderwunsch und um die Maßstäbe, die ich an mein Leben setze. Wir leben in einer Gesellschaft, die in fast allen Bereichen eine perfekte Planbarkeit von uns abverlangt, insofern ist die Frage, ob ich mir ein “Projekt Kind” zum jetzigen Zeitpunkt vorstellen kann, eine berechtigte und gehört von der Politik respektiert. Nichtsdestotrotz, ist es natürlich Aufgabe der Politik materielle und sozialrechtliche Bedingungen zu verbessern, aber unabhängig vom Thema Schwangerschaftsabbruch.
Nabelschau: Frauen oder Paare, die sich bewusst gegen das Kinderkriegen entscheiden, werden oft als egoistisch und gefühlskalt beschimpft, warum?
Ulrike Busch: Dass Egoismus-Vorwürfe gegenüber Abtreibenden existieren, ist ein Alltagsmythos, zu dem es meines Erachtens keine empirische Untersetzung gibt. Vermutlich handelt es sich dabei um Aussagen, wie “Der war es wichtiger in den Urlaub zu fahren, als ihre Schwangerschaft anzunehmen”, aber so platt und einfach kann das Thema Schwangerschaftsabbruch nicht abgetan werden. Sicherlich ist es richtig, dass es eine jahrelange Diskreditierung von Schwangerschaftsabbrüchen und damit auch von jenen Frauen, die einen Abbruch vornehmen, gibt. Folglich herrscht eine moralische Verurteilung und Beurteilung, die natürlich auch darauf beruht, dass der Schwangerschaftsabbruch Teil des Straftatbestands nach Strafgesetzbuch ist. Eine solche juristische Sanktionierung wirkt subtil auf alle unsere Lebensbereiche ein und somit sprechen wir auch eine gesellschaftliche Missbilligung aus.
Nabelschau: Wie schätzen Sie die mediale Berichterstattung zum Thema Schwangerschaftsabbruch ein?
Ulrike Busch: In den letzten zwei bis drei Jahren ist die mediale Berichterstattung um § 219a auf einem Höhepunkt gewesen, wie nie zuvor. Viele Journalist:innen sind sehr ambitioniert auf dieses Thema eingegangen. Viele junge Medienmacher:innen, wussten zum Teil jedoch gar nicht mehr um die strafrechtliche Verankerung von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland, bis zur Verurteilung von Kristina Hänel. Folglich wurde ihnen klar, wie restriktiv die Bedingungen in Deutschland sind, weshalb sie anschließend umfassend berichtet haben. In den Jahren zuvor ist das Thema sehr moralisierend oder skandalisierend in den Medien diskutiert worden, meistens an Themen wie Spätabbruch oder Behinderung. Generell würde ich mir wünschen, dass der unverstellte, investigative und positionierte Blick auf das Thema Schwangerschaftsabbruch gehalten wird und die mediale Debatte darum kein singuläres Ereignis bleibt, bis die nächsten Ärzt:innen verurteilt werden. Dafür ist das Thema Schwangerschaftsabbruch zu wichtig, auch wenn viele im Alltag meinen, dass Betroffene irgendwie damit zurechtkommen. Wenn wir genauer hinschauen sehen wir, dass Deutschland zu den europäischen Ländern gehört, das eine ausgesprochen restriktive, rechtliche Ausgestaltung und auch Praxis zum Schwangerschaftsabbruch vornimmt und somit Frauen in ihrer Entscheidungskompetenz und ihrer Verantwortlichkeit, was die Kinderfrage betrifft, diskreditiert und begrenzt.
Nabelschau: Was wünschen Sie sich in Zukunft im Umgang mit Abtreibungen?
Ulrike Busch: Ich wünsche, dass § 218 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird und Schwangerschaftsabbrüche somit nicht mehr strafrechtlich geregelt werden. Der Schwangerschaftsabbruch wird in Deutschland als Straftatbestand behandelt und die Ausnahmesituationen für einen Abbruch werden genau festgelegt, was unserer modernen Gesellschaft nicht mehr entspricht. Speziell unter dem Aspekt von Frauengesundheit und Selbstbestimmung ist ein solches Gesetz heutzutage nicht mehr tragbar. Es gibt andere Länder, wie beispielsweise Frankreich, die Schwangerschaftsabbrüche außerstrafrechtlich regeln und die beweisen, dass eine solche Gesetzesänderung keine negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft hat. Ganz im Gegenteil wächst ein Klima, in dem Frauenrechte im reproduktiven Bereich als selbstverständlich anerkannt werden.
Verwendete Quellen:
- pro familia Bundesverband 2018. Schwangerschaftsabbruch Zahlen und Hintergründe. 8 Fakten zum Schwangerschaftsabbruch in Deutschland. o.D. PDF Download Factsheet. (S. 2f.) (Stand: 19.04.2020).
- Statistisches Bundesamt 2019. Pressemitteilung Nr. 208 vom 4. Juni 2019. o.D. Pressemitteilung Statistisches Bundesamt. (S. 1) (Stand: 19.04.2020).
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