Keine Kinder, kein Klimawandel?

Yeah. We don’t want to reproduce because we know that the earth can’t handle it.

Miley Cyrus im Interview mit Molly Lambert, ELLE

Mit Miley Cyrus hat die Bewegung um #birthstrike an neuer Popularität gewonnen. Frauen und Männer streiken unter diesem Hashtag gegen die Klimakrise und entscheiden sich aus Angst und Respekt vor der Umwelt gegen eigene Kinder. Ihr Credo: Solange es keine effektiven Maßnahmen gibt, um den Klimawandel aufzuhalten, werden sie ihre teils eigenen Kinderwünsche zurückhalten. Denn auch die Geburt neuer Kinder trägt laut den Aussagen der birthstrike-Aktivisten zum Klimawandel bei. So geben Quellen an, dass der Verzicht auf ein Kind pro Jahr rund 58,6 Tonnen CO2 einspart. Eine Einsparung, die weitaus effektiver als Veganismus und Flugverzicht zusammen ist. Nun lässt sich natürlich debattieren, inwiefern Kinder mit solchen mathematischen Berechnungen verglichen werden können. Aber Fakt ist, dass die Erde in den nächsten 30 Jahren auf eine Bevölkerungszahl von rund 11 Milliarden Menschen wächst. Ein Szenario, welches keineswegs auf einen Ausweg aus dieser Krise hindeutet, bedenken wir obige Zahlen. Das eine solche Verallgemeinerung allerdings auch sehr zwiespältig zu lesen ist, beweisen die Demonstrierenden von #fridaysforfuture um Greta Thunberg. Kinder, die den älteren Generationen aufzeigen, dass ein Leben unter Verzicht und Nachhaltigkeit möglich ist. Können Kinder in dieser Hinsicht überhaupt „Sünde“ sein?

Quelle: Stefan Riedener

Dr. Stefan Riedener (30) ist Postdoktorand und lehrt am Philosophischen Seminar der Universität Zürich. Zurzeit forscht er am Lehrstuhl für Angewandte Ethik zu den Schwerpunkten Normative Ungewissheit, Wertphilosophie, Entscheidungstheorie und Moralische Vorwürfe. Im Juni 2019 war Stefan Riedener als Mitdiskutant bei Sternstunde Philosophie: Philosophischer Stammtisch von Schweizer Radio und Fernsehen, zu sehen. Gemeinsam debattierte der Philosoph mit Moderatorin Barbara Bleisch und den Philosophinnen Kirsten Meyer und Catherine Newmark über die Grundfrage: Kinder, ein Ego-Projekt?

Riedener selbst bekennt sich in der Talkrunde zum Effektiven Altruismus. Dabei handelt es sich um eine philosophische Strömung, die seit rund zehn Jahren zunehmend Einzug hält. Sie verfolgt das Ziel so effektiv wie möglich Gutes zu tun. Um die Effizienz bestimmen zu können, ziehen die Anhänger der Bewegung rationale Argumente und wissenschaftliche Erkenntnisse für ihre Wohltätigkeit hinzu. Auch vermeintlich emotionale Themen, wie die Kinderfrage, werden somit einem Stresstest unterzogen.

Nabelschau wollte von Stefan Riedener wissen, wie sachlich die Kinderfrage wirklich besprochen werden kann und wie wichtig der eigene Verzicht für eine möglichst effektive Zukunft ist.

Nabelschau: In der Talkrunde wurde angesprochen, dass eine “umweltfreundliche” Erziehung eine Lösung sei, um den Klimawandel abzumildern, obwohl der CO2-Ausstoß von Kindern und die „Überbevölkerung“ nicht zu leugnen sind, inwieweit reden wir uns dadurch selbst die Kinderfrage moralisch schön?

Stefan Riedener: Wir sollten nicht leugnen oder vergessen, dass Kinder zum Klimawandel beitragen. Aber ich bin auch zuversichtlich, dass einzelne Menschen insgesamt mehr Gutes tun können, als dass sie Schlechtes bewirken – beispielsweise, indem sie andere Menschen von der Wichtigkeit möglicher Klimamaßnahmen überzeugen oder etwas zum technologischen Fortschritt beitragen. Ob sie dies tun oder nicht hängt sicher unter anderem von ihren Werten und auch von ihrer Erziehung ab. Insofern ist die Erziehung ebenfalls wichtig. Dies zu betonen, heißt noch nicht, das Problem schönzureden.

Nabelschau: Der Stammtisch verlor sich (meiner Meinung nach), trotz der versuchten Sachlichkeit, ein wenig in der Rechtfertigung des Kinderkriegens, aufgrund persönlicher Erfahrungen. Wir sprechen im Zuge des Klimawandels aber nicht von Kindern, die bereits auf der Welt sind, sondern von denen, die eventuell auf die Welt kommen sollen. Unter welchen Umständen kann eine solche Debatte überhaupt sachlich geführt werden?

Stefan Riedener: Kinderhaben ist bestimmt für viele ein sehr emotionales Thema. Nicht wenige Menschen haben einen sehr starken Wunsch, Kinder zu bekommen. Andere wiederum fühlen sich vielleicht angegriffen, wenn ein kritisches Licht auf dieses Thema geworfen wird. Es kann sein, dass dieser Umstand eine nüchterne Diskussion manchmal erschwert. Allerdings würde ich auch sagen, dass der Kinderwunsch aus moralischer Perspektive ernst zu nehmen ist. Wenn jemand sehr gerne ein Kind hätte, dann ist dieser Wunsch ein Grund, warum von dieser Person nicht verlangt werden kann, kinderlos zu bleiben.

Nabelschau: Der Klimawandel ist eine abstrakte Größe, einem Kind kann ich aber direkt in die Augen schauen, zu welchen Problemen führt dieser Fakt in Bezug auf die Kinderfrage?

Stefan Riedener: Nun, wie Sie selbst betonen: Wir sprechen ja selbstverständlich nicht davon, ob bereits existierende Kinder ein Recht haben, weiterzuleben – sondern davon, wie viele zukünftige Kinder wir haben wollen. Zukünftigen Kindern können wir jetzt auch noch nicht in die Augen schauen. In einem Sinne sind auch sie abstrakt.

Aber ich glaube tatsächlich, dass die Abstraktheit oder verhältnismäßig schwere Sichtbarkeit des Klimawandels ein großes moralpsychologisches Problem ist. Wenn wir das ganze Leid, das er anrichtet und anrichten wird, vor unseren Augen hätten, würden wir wohl weitaus entschiedener agieren.

Nabelschau: Der Philosoph Richard-David Precht hat bezüglich des Klimawandels mehr Verbote gefordert. Verbote nehmen Menschen die Entscheidungen ab und führen in der Regel zu schnellen Ergebnissen. Wäre ein Kinderverbot bzw. eine Geburtenkontrolle, wie bspw. in China, auch in Deutschland oder in der Schweiz denkbar?

Stefan Riedener: Grundsätzlich bin ich auf jeden Fall auch der Meinung, dass der Klimawandel politische Maßnahmen wie Verbote braucht. Denn auf freie Entscheidungen Einzelner zu vertrauen kann gefährlich sein. Beim Kinderkriegen scheint mir das allerdings keine gute Idee. Ich glaube nicht, dass es moralisch falsch ist, zum Beispiel zwei Kinder zu haben. Und erst recht nicht sollten wir das staatlich verbieten. Das wäre ein unrechtmäßiger Eingriff in unsere Freiheitsrechte. Ich glaube, da gibt es andere Gebiete, wo wir zuerst ansetzen sollten.

Nabelschau: Sie selbst vertreten die Positionen des Altruismus. Wieso wird es zukünftig wichtig sein (in unserer Überflussgesellschaft) auf eigene Bedürfnisse zu verzichten (bspw. auf den Kinderwunsch), um das Klima zu schonen?

Stefan Riedener: Ich bin nicht der Meinung, dass alle ganz auf den Kinderwunsch verzichten sollten. Im Gegenteil: Wenn alle darauf verzichten würden, würden wir aussterben, und das schiene mir ein astronomischer moralischer Verlust. Aber vielleicht sollten wir künftig darauf verzichten, drei oder mehr Kinder zu haben. Ganz allgemein wird es vielleicht wirklich immer wichtiger, dass wir unseren Fokus mehr auf andere richten, und weg von uns selbst. Insbesondere, weil wir heute mit viel weniger Aufwand viel mehr bewirken können als früher. Heute haben wir alle die Möglichkeit, Schritte zu unternehmen, die anderen Menschen das Leben retten. Und diese Schritte bedeuten oft gar keine so großen Verzichte. Unsere Grundbedürfnisse sind längst gedeckt. So ist es zum Beispiel kein menschliches Grundbedürfnis, aus touristischen Gründen um die Welt zu fliegen.

Nabelschau: Was wünschen Sie sich in Zukunft im Umgang mit der Kinderfrage?

Stefan Riedener: Ich wünsche mir, dass die Menschen Verantwortung dafür übernehmen, wie viele Kinder sie haben und welche Werte sie diesen Kindern mitgeben. Verantwortung übernehmen heißt auch, sich bewusst sein, dass das Kinderhaben andere betrifft. Dieses Bewusstsein sollte bei der Entscheidung, wie viele Kinder man haben will und wie man sie erziehen möchte, stets eine Rolle spielen.

Nabelschau: Vervollständigen Sie bitte folgenden Satz Kinder sind für mich…

Stefan Riedener: Kinder sind für mich zunächst einmal Menschen, und somit etwas Wunderbares. Aber gerade weil die Menschen etwas Wunderbares sind, sollten wir vorsichtig mit uns und unserem Planeten umgehen, auch in unserer Rolle als (potenzielle) Eltern.

Verwendete Quellen:

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