Vor rund 50 Jahren war die Welt noch an einem Punkt, an dem das Kinderkriegen nicht öffentlich hinterfragt, sondern wortlos hingenommen wurde. Menschen bekamen Kinder und gründeten folglich ihre kleinste soziale Einheit innerhalb der Gesellschaft, die Familie. Die Rolle der Frau als “Gebärmaschine” war dahingehend ebenso klar besetzt, wie die der noch ungeborenen Kinder als zukünftiges “Kanonenfutter”, wie es einst die Sozalist:innen um Rosa Luxemburg im Jahr 1913 formulierten.
Doch neben der Annahme, dass Kinder für den Fortbestand der Gesellschaft, sei es nun kriegerisch-strategisch gedacht oder generell, notwendig seien, wird die Debatte um die Kinderfrage auch stets von einem sozialen Diskurs begleitet. Die “Lust” auf Kinder ist überwiegend gesellschaftlicher Natur und stellt das Maß an Verantwortung, was sich aus der Familiengründung ergibt, nur selten als “Problem” dar.
Erst mit dem Aufkommen der Pille und der schrittweisen Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in den 1960er bzw. 1970er Jahren fing die Gesellschaft nach und nach an, die Gründe für das Kinderkriegen zu begutachten und infrage zu stellen.
Es folgten Debatten um die Selbstbestimmung der Frau und die damit einhergehende Verweigerung von Schwangerschaften. Heute ist Kinderkriegen zwar kein Muss mehr und obliegt einer gewissen Wahlfreiheit, trotzdem fühlen sich Kinderlose zunehmend unter Druck gesetzt, was das “Projekt Kind” angeht. Schließlich lassen Kinder einen bedingungslose Liebe erfahren und sind der Teil, der nach unserem Tod auf der Erde verbleibt.
Doch nicht jede:r kann sich mit dem Gedanken der “Lust” auf Kinder anfreunden. Zu groß ist die Verpflichtung und die Verantwortung, die mit Kindern einhergehen. Schließlich werden Kinder nicht gefragt, ob sie auf die Welt kommen wollen. Der Gedanke, dass Kinder sich, sofern sie aus dem Gröbsten raus sind, für die Fürsorge ihrer Eltern revanchieren, ist nur selten zu Ende gedacht. Letztlich müssen Kinder gar nichts. Aber Eltern müssen, müssen sich verpflichten für das Kind zu sorgen, müssen schlaflose Nächte in Kauf nehmen und müssen zu nervigen Elternabenden.
Für einige Menschen ist dieses Muss nicht hinnehmbar. Sie entscheiden sich bewusst gegen Kinder, weil ihnen der Sinn nach einem eigenen biologischen Erzeugnis nicht wirklich einleuchtet. Und jene möchten die Wahlfreiheit um das Kinderkriegen für sich nicht weiter im Raum stehen lassen. Sie finden in der Sterilisation ihre Antwort auf die Frage nach einer zuverlässigen und dauerhaften Verhütungsmethode.
Im Jahr 2011 entschieden sich rund 19 % der Frauen weltweit für die Sterilisation als Verhütung. In Deutschland lag der Anteil der Frauen, die eine Sterilisation vornahmen bei rund 2 % (Stand 2007). Generell ist zu beobachten, dass die Zahlen der Sterilisationen in Deutschland zurückgehen und alternative, langanhaltende Verhütungsmethoden von Frauen bevorzugt werden.
Sophia* ist 23 Jahre und studierte bis vor Kurzem an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Im Juli 2019 fragte Sophia nach Frauenarzt-Empfehlungen bei Jodel. Doch die Antworten wichen schnell von ihrer eigentlichen Frage ab. Der Grund, Sophia möchte eine Frauenärztin, die sie sterilisiert und bei der sie sich eine vorurteilsfreie Beratung einholen kann. Sophias Mutter weiß von der Entscheidung ihrer Tochter, hält diese allerdings nur für eine Phase. Die langjährige Beziehung der 23-Jährigen scheiterte am Kinderwunsch des damaligen Freundes. Eine Freundin machte mich auf Sophias Jodel-Post aufmerksam und so erzählte ich Sophia von meinem Projekt und fragte sie ein wenig über ihre ungewöhnliche Entscheidung aus. (*Name unbekannt)
Nabelschau: Was hat dich zu deiner Entscheidung dich sterilisieren zu lassen bewogen?
Sophia: Ich möchte keine Kinder. Das wollte ich noch nie. Und mit den Jahren wurde ich mir immer sicherer. Ich habe mir früher oft gewünscht ich wäre ein Junge, weil ich dann nicht diese ständige Angst hätte, plötzlich schwanger zu werden. Hormonelle Verhütungsmethoden vertrage ich nicht. Und bei Verhütungsmitteln aus Kupfer habe ich Angst vor dem Einsetzen, als auch davor, dass meine Periode stärker werden könnte. Ich blute sowieso stark und das belastet mich bereits jeden Monat. Außerdem ist es möglich, dass beispielsweise Kupferspiralen verrutschen oder vom Körper ausgestoßen werden. Wenn mir das passieren würde und es unbemerkt bliebe, dann ist das Risiko, dass ich schwanger werde wiederum groß. Eine Sterilisation wäre somit die einfachste und sicherste Methode für mich, da ich mir nie wieder Gedanken um dieses Thema machen müsste. Momentan lebe ich, aus Angst vor einer Schwangerschaft, enthaltsam. Das belastet nicht nur mich, sondern auch meine Beziehungen. Meine letzte Beziehung beendete ich nach sieben Jahren, weil mein damaliger Partner gerne Kinder wollte.
Nabelschau: Inwieweit siehst du dich mit dem Vorwurf des Egoismus konfrontiert?
Sophia: Meistens wird das Argument geäußert, dass ich nichts zur Gesellschaft beitragen würde, beispielsweise nach dem Motto: “Wer bezahlt dann unsere Renten?“. Ich finde die Gründe die für ein Kind genannt werden deutlich egoistischer, wie zum Beispiel das Kinder sich im Alter um ihre Eltern sorgen sollen. Also bekommen Menschen Kinder, damit sie später nicht alleine sind und sie jemanden haben, der sich um sie kümmert? Das finde ich egoistisch.
Nabelschau: Ist Kinderlosigkeit für dich mit Einsamkeit gleichzusetzen? (Wenn nein, warum nicht?)
Sophia: Nein. Wenn wir uns beispielsweise Bewohner in Altenheimen anschauen, dann sehen wir bestimmt einige, die dort nur von ihren Kindern abgesetzt und nie wieder besucht werden. Kinder sind kein Garant für Fürsorge und Gesellschaft. Ich werde bald von zu Hause ausziehen und meine Mama ist todunglücklich darüber. Zumal mein neuer Wohnort weiter von zu Hause weg ist. Ich kann an dieser Situation nicht viel ändern und will auch nicht für immer zu Hause wohnen bleiben. Und auch kinderlose Paare zeigen, dass sie ohne Kinder nicht unbedingt einsam sind. Es gibt den Partner, die Freunde und Haustiere. Vielleicht ist man sogar lieber alleine und genießt die Ruhe. Nicht jeder möchte ständig Menschen um sich herum haben. Alleinsein ist nicht automatisch mit Einsamkeit gleichzusetzen.
Nabelschau: Was empfindest du, wenn Menschen zu dir meinen “Das kannst du doch jetzt noch gar nicht wissen!”?
Sophia: Ich empfinde viel. Vor allem macht es mich wütend, weil schon früh von mir erwartet wird erwachsen zu werden und Entscheidungen zu treffen, beispielsweise in Bezug auf die Ausbildung oder das Studium oder den Auszug. Aber sobald es darum geht sich gegen Kinder zu entscheiden bin ich auf einmal zu jung, um Entscheidungen zu fällen. Komischerweise gibt es aber kaum einen Menschen, der ein Problem damit hat, wenn Anfang 20-Jährige Kinder bekommen. In diesem Fall sind die jungen Eltern wiederum erwachsen genug. Ich finde es traurig, dass manche Menschen denken, sie könnten ohne Kinder nicht glücklich sein. Im Internet, habe ich viele Beiträge gelesen, die von erwachsenen Frauen handelten, die zum ersten Mal davon hörten, dass überhaupt die Möglichkeit besteht, sich gegen Kinder zu entscheiden. Kinderkriegen ist einfach ein Stigma. Kaum eine Frau traut sich zuzugeben, dass sie es bereut Mutter geworden zu sein. Es heißt nicht, dass sie ihre Kinder nicht lieben, aber niemand sagt einem wie anstrengend Kinder sein können. Stattdessen wird immer nur davon gesprochen, wie toll sie sind.
Nabelschau: Was bedeutet dir Familie?
Sophia: Familie sind für mich Menschen, die mich so lieben, wie ich bin und die für mich da sind. Ganz unabhängig davon, ob ich mit ihnen verwandt oder verheiratet bin oder eben nicht.
Nabelschau: Stell dir vor du lässt dich sterilisieren, aber wirst dennoch schwanger, was würdest du tun?
Sophia: Ganz einfach, ich würde abtreiben. Natürlich ist eine Abtreibung nicht auf die leichte Schulter zu nehmen und ich fände es auch nicht schön abtreiben zu müssen, aber das Kind zu bekommen wäre für mich deutlich schlimmer.
Nabelschau: Vervollständige bitte folgenden Satz Kinder sind für mich…
Sophia: Kinder sind für mich nicht notwendig, um glücklich zu sein.
Verwendete Quellen:
- Badinter, Élisabeth/Legro, Martin 2018. Mütter, seid mittelmäßig. In: “Warum haben wir Kinder?”, Philosophie Magazin/Reclam Verlag (Hrsg.), Ditzingen: Philipp Reclam jun. Verlag. S. 13-19.
- Burgart Goutal, Jeanne 2018. Im Namen des Egoismus. In: “Warum haben wir Kinder?”, Philosophie Magazin/Reclam Verlag (Hrsg.), Ditzingen: Philipp Reclam jun. Verlag. S. 20-25.
- Eltchaninoff, Michel 2018. Der Wille zum Kind. In: “Warum haben wir Kinder?”, Philosophie Magazin/Reclam Verlag (Hrsg.), Ditzingen: Philipp Reclam jun. Verlag. S. 7-12.
- Seyler, Helga 2011. Sterilisation bei Frauen und Männern. Aktuelle Informationen. 08/2011. PDF Download Rundbrief Pro Familia e.V. (S. 3f.) (Stand: 19.04.2020).
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