Es war April 2015. Sarah (24) feierte mit ein paar Freund:innen und mir in meinen Geburtstag rein. Wir gingen auf ein Konzert der Bluesrock-Band The Whiskey Foundation. An einem Abend im besagten Monat heizten die Jungs aus München das Glashaus in Bayreuth richtig ein. Der Rauch, den die Nebelmaschinen produzierten, verlor sich im glühenden Dämmerlicht der Scheinwerfer. Von der dritten Reihe im Zuschauerraum aus, spürten wir das Gedränge der Besucher:innen hinter und neben uns. Das Glashaus war voll, die Stimmung an diesem Tag ausgelassen. Während die Band uns mit ihrer Musik berauschte, genehmigten wir uns die eine oder andere Flasche Bier. Sarah hatte es auf Cocktails abgesehen. Wir tanzten so gut das bei der Dichte an Menschen ging.
Im zweiten Drittel des Konzerts registrierte ich, dass Sarah blass aussah. Ich fragte, was los war und sie meinte, dass ihr plötzlich schlecht sei, aber gehen wollte sie nicht. Nach dem Konzert feierten wir noch ein wenig bei mir und gingen schlafen. Am nächsten Morgen war Sarah unruhig und wollte nach dem Frühstück schnell zu ihrem Freund. Ich wunderte mich, weil sie am Abend zuvor meinte, dass Michael beruflich unterwegs ist, doch ich dachte mir nichts dabei. Sie ging. Wenige Tage später sahen wir uns beim Yoga wieder. Wir liefen anschließend über den Campus und ich fragte, warum sie vor ein paar Tagen so schnell weg musste, denn eigentlich hatten wir noch Karten für ein weiteres Konzert, dass sie unbedingt sehen wollte. Sie sagte mir, dass ihr an dem Abend so schlecht vom Alkohol wurde und dass sie ganz dringend zu Michael wollte, um Gewissheit zu haben. Und plötzlich war meine beste Freundin schwanger.
Sarah (24) ist Mutter einer dreijährigen Tochter und liebt das Familienleben. Trotz Anstrengung und der ein oder anderen Quengelei genießt Sarah die gemeinsame Zeit mit ihrer kleinen sozialen Einheit, auch wenn der Weg dahin mehr als turbulent war. Denn die Schwangerschaft war zunächst ungeplant und verlief während des Studiums. Was Sarah nun über Familie und ihr Muttersein denkt, verrät sie uns im Interview.
Nabelschau: Die rationalen Gründe keine Kinder zu bekommen (Ressourcenknappheit, “Umweltverschmutzung”, Gesellschaftszwang) sind durchaus überzeugend, warum hast du dich fürs Kinderkriegen entschieden?
Sarah: Ich habe mich nie aktiv für das Kinderkriegen entschieden, da meine Schwangerschaft damals unerwartet kam. Vermutlich hätte ich mich mit 20 Jahren auch nicht bewusst für ein Kind entschieden und lieber noch fünf Jahre gewartet. Aber der Wunsch einmal eine eigene Familie zu haben, war bereits als Kind in meiner Vorstellung verankert. Immer, wenn ich an meine Zukunft gedacht habe, sah ich ganz klischeehaft Heirat, eigene Kinder und einen Job vor mir. Ich glaube, dass haben mir meine Eltern auch unbewusst vermittelt. Sie waren beide berufstätig, aber haben es trotz Spagat zwischen Beruf und Familie geschafft, mir den Eindruck zu geben, dass Familie etwas sehr Schönes ist. Ich hatte auch eine tolle Kindheit, sodass ich dieses Gefühl auch später einmal als Mutter erleben und die Mutter-Kind-Bindung erfahren wollte.
Nabelschau: Du hast dich zwar nicht bewusst für die Schwangerschaft entschieden, aber dennoch für ein Kind. War Abtreibung ein Thema für dich beziehungsweise euch?
Sarah: Für mich war es nie ein Thema, weil bereits vor meiner Schwangerschaft feststand, dass ich das Kind bekommen werde, sollte ich einmal schwanger werden. Ich hätte mich persönlich auch nicht damit abfinden können, wenn mein Mann damals gewollt hätte, dass ich abtreibe. In diesem Fall hätte ich mich trotzdem für das Kind entschieden, was aber nicht bedeutet, dass ich Abtreibung prinzipiell als No-Go empfinde. Generell meine ich, dass jede Frau auch das Recht auf Abtreibung haben sollte, weil sie mit mehr Konsequenzen im Leben rechnen muss, als der Mann. Deswegen sollte die Entscheidung über eine Abtreibung auch bei der Frau liegen. Zudem gibt es durchaus Lebenssituationen, in denen eine Abtreibung für Betroffene die bessere Entscheidung sein kann. Nicht nur, weil ein Kind das eigene Leben weitreichend verändert, sondern auch, weil ein Kind Anspruch auf ein gutes und behütetes Leben hat. Meine Entscheidung für ein Kind, war zugleich meine Überzeugung, dass ich mit 20 Jahren durchaus die Verantwortung für ein Kind übernehmen kann und in der Lage bin, es behütet aufzuziehen.
Nabelschau: Unter #birthstrike verzichten Menschen auf eigenen Nachwuchs, aufgrund der drohenden Klimakatastrophe, inwieweit beeinflusst der Klimawandel die Sorgen um dein Kind?
Sarah: Klar mache ich mir Sorgen und frage mich, in was für einer Umwelt Theresa leben wird, wenn sie so alt ist, wie ich. Aber ich kann leider nicht 20 Jahre in die Zukunft schauen. Es beunruhigt mich, dass sie vielleicht in einer Welt aufwächst, in der gewisse Ressourcen oder auch Tierarten nicht mehr selbstverständlich sind. Aber die ganzen Generationen vor uns, haben ja auch nicht gewusst, was in der Zukunft passieren wird. Wenn sich unsere Vorfahren, aus Angst vor künftigen Krisen dazu entschlossen hätten, keine Kinder zu bekommen, dann wäre die Menschheit, übertrieben gesagt, längst ausgestorben. Ich bin der Meinung, dass gerade die Menschen, die sich der Klimakrise und ihrer Folgen bewusst sind, Kinder bekommen sollten. Denn sie sind es, die ihren Kindern ein Bewusstsein für die Umwelt mitgeben. Zudem werden die Menschen, denen der Klimawandel egal ist, deswegen nicht aufhören Kinder zu kriegen. Und deren Kinder wiederum, werden dann auch nichts mit auf den Weg bekommen. Mir fällt da gerade der Spruch ein: Wenn der Klügere nachgibt, regieren Dumme die Welt.
Nabelschau: Fortpflanzungs-Kritiker vergleichen das Kinderkriegen oft mit der Haustierhaltung. In beiden Fällen hat der Mensch etwas, was er bedingungslos lieben und umsorgen kann, wo hinkt der Vergleich?
Sarah: Bevor ich Theresa hatte, wollte ich auch immer einen Hund oder eine Katze. Aber seit ich Theresa habe, ist dieser Wunsch überhaupt nicht mehr da. Andersherum gedacht, sind Tiere vielleicht eher ein Kinderersatz. Außerdem glaube ich nicht, dass das Glück eines Kindes, mit dem Glück eines Haustieres vergleichbar ist. Auch der Entwicklungsprozess ist ein anderer. Ein Tier bleibt bis zu einem gewissen Punkt immer hilfsbedürftig. Aber zu sehen, wie sich der Charakter deines Kindes entwickelt, an dessen Prozess du ja auch einen gewissen Anteil als Eltern hast, ist magisch.
Nabelschau: Frauen entscheiden sich oft gegen Kinder, weil die Rahmenbedingungen nicht stimmen (Finanzen, Job oder Zeitpunkt etc.). Was rätst du Frauen, die auf den richtigen Zeitpunkt warten?
Sarah: Es gibt keinen richtigen Zeitpunkt. Das ist vermutlich die Standardantwort von Müttern. Aber wenn man sich fragt, wann der richtige Zeitpunkt sein wird, um sein Leben komplett auf den Kopf zu stellen, dann wird man nie einen finden. Nach der Schule möchte man erstmal eine Ausbildung oder ein Studium absolvieren, um etwas in der Hand zu haben. Anschließend will man Geld verdienen und sucht sich einen Job. Dann ist man gerade im Job angekommen und versucht sich zurecht zu finden. Mittlerweile kennt man die Arbeitsabläufe besser und bekommt eventuell eine Beförderung angeboten oder man arbeitet bereits so lange im Job, dass einen anschließend das Gefühl beschleicht, dass ein Ausstieg das Ende der beruflichen Karriere bedeutet. Und wenn man sich schließlich für einen potenziellen Ausstieg entscheidet, stellt man fest, dass die biologische Uhr schon lange tickt. Denn mit Mitte 30 nimmt die Fruchtbarkeit der Frau zunehmend ab. Viele Paare bekommen dann auch Angst, weil im medizinischen Sinne, von einer Risikoschwangerschaft gesprochen wird. Auch Ärzte erhöhen dahingehend den Druck auf Paare durch mehr Untersuchungen. Ich selbst erlebe es zum Teil im Freundeskreis mit.
Rückblickend muss ich sagen, dass der Zeitpunkt für meine Schwangerschaft der richtige war, weil ich zu dieser Zeit studierte und noch nicht an das große Geld gewöhnt war. Das klingt jetzt banal, aber für mich fiel kein ganzes Gehalt weg, aufgrund des Mutterschaftsurlaubs. Außerdem habe ich sehr viel Unterstützung durch meinen Mann und meine Familie erfahren.
Nabelschau: Mit deinem Kind ist ein weiterer Teil von dir in der Welt, der somit auch ein Stück weit Familiengeschichte fortsetzt, wie wichtig ist dir eine solche “Fortsetzung”?
Sarah: Ich glaube, dass der Wunsch, die eigenen Gene irgendwie weitergeben zu wollen, durchaus in jedem von uns steckt. Auch ich trug dieses Gefühl vermutlich unterbewusst in mir. Bereits während meiner Schwangerschaft hat sich in mir eine tiefe Verbundenheit zu meinem zukünftigen Kind eingestellt. Demnach war Theresa ja schon ein Teil von mir, als sie noch gar nicht auf der Welt war. Das habe ich sehr genossen.
Nabelschau: Stell dir vor, dein Kind sagt im Erwachsenenalter, dass es keine Kinder möchte, was würdest du antworten?
Sarah: Ich glaube es kommt darauf an, wann sie das zu mir sagen würde. Wenn sie im Teenageralter zu mir käme, würde ich sagen, dass sie sich nicht endgültig auf ihren Entschluss festlegen soll, da sich Meinungen auch schnell ändern. Auch ich habe mit 18 oder 20 Jahren Dinge gesagt, die ich heute nicht mehr so sagen würde. Aber wenn ihre Entscheidung mit 30 Jahren immer noch dieselbe ist, dann respektiere ich diese, sofern es sich dabei auch wirklich um ihre eigene und nicht die des Partners handelt. Ich bin übrigens überzeugt, dass es der größte Fehler von Paaren ist, die Kinderfrage aufzuschieben. Insbesondere wenn beide davon ausgehen, dass der jeweilige Partner seine Meinung noch ändern wird. Deshalb ist es wichtig, so früh wie möglich über den potenziellen Kinderwunsch zu sprechen.
Nabelschau: Vervollständige bitte folgenden Satz Kinder sind für mich…
Sarah: Kinder sind für mich Vervollständigung im Leben. Sie schließen eine Lücke, von der man vorher nicht wusste, dass es sie gibt.
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